Dienstag, 15. Januar 2008
Lücken
Lücken
06.00 Uhr
Der Wecker klingelt mich mehr oder weniger sanft aus dem Schlaf. Als wäre das nicht schon genug Folter, werde ich direkt konfrontiert mit Kopfschmerzen. Mein Kater ist von einem anderen Stern. Wo war ich bloss gestern Nacht? Da war diese Bar, wie jeden Donnerstag... Geburtstagsfeier... Wessen Geburtstag? Klar, ich war dort aber mit wem? Und wie bin ich nach Hause gekommen? Keine Ahnung! So fängt es an, Alzheimer. Gestern war noch alles in Ordnung und heute kann ich mich an fast gar nichts mehr erinnern. Natürlich weiss ich ganz genau, dass mich keine Krankheit in diesen Zustand versetzt hat, sondern einzig und allein das schönste aller Dinge, der Alkohol. Trotzdem habe ich mir das Schönste irgendwie anders vorgestellt, irgendwie... schöner halt. Und vor allem weniger schmerzhaft. Nein, ich will nicht klagen oder mich in Selbstmitleid verlieren. Ich habe gestern gesoffen und kriege nun die Konsequenzen zu spüren. Wie mein Grossvater schon sagte: Es kriegt jeder das, was er verdient. Ich muss gestern ein sehr schlechter Mensch gewesen sein. Gott, wenn es dich gibt, wenn du mich hörst, dreh doch bitte den Schalter deiner Peinigungsmaschine ein klitzekleines bisschen zurück. Kannst du natürlich vergessen. Gott ist nie da, wenn man ihn braucht, zumindest fällt es uns nur dann auf. Wer fleht schon zu Gott, wenn er mit drei Weibern in einem Jacuzzi sitzt und 300 Millionen auf dem Konto hat. Niemand. Wenn derselbe Typ aber von einer tödlichen Geschlechtskrankheit heimgesucht wird und langsam vor sich hinvegetiert, wird er auf seine bröckligen Knie fallen und mit Blick nach oben, sehnsüchtig um Gnade flehen. Vergebens. Für ihn wird genau so wenig Hilfe von oben herabkommen, wie für die tausenden von Kindern weltweit, die tagtäglich an Hunger sterben.
Noch immer weiss ich nicht, was gestern im Detail geschah. Die Vergangenheit ist halt vergänglich. Was gestern passierte hat im Heute keine Bedeutung mehr. Ausser Kriege vielleicht, die hinterlassen immer irgendwelche Spuren und die Geschichtsbücher sind voll damit. Wir stopfen unser Gedächtnis mit ihren Daten voll. Wir wissen genau, wann der Zweite Weltkrieg anfing und wann er beendet wurde. Und auch dass er beendet wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass er noch heute top aktuell ist und man auf den Erfahrungen von damals aufbaut. Auf meinem Saufabend von gestern baut niemand auf. Vielleicht gab es einfach zu wenig Tote, als dass es für irgendjemanden von Interesse wäre, ein Geschichtsbuch damit zu füllen. So kräht kein Hahn nach gestern Abend und alles was mir von gestern im Gedächtnis bleibt sind Lücken.
06.15 Uhr


08.30 Uhr
Je ne ... pas aller à la plage. Keine Ahnung. Ich hätte gestern besser noch gelernt, anstatt bis frühmorgens wegzugehen. Welcher Bekloppte kommt jedoch schon auf die Idee, nach einer so exzessiven Nacht, eine Französisch- Prüfung zu machen? Jemand, der nicht dabei war. Kann ja nur ein Französisch- Lehrer sein. Na gut, da muss ich wohl durch. Plötzlich muss ich wieder an meinen Grossvater denken. Hab ich das wirklich verdient, oder anders gefragt, was um alles in der Welt habe ich angestellt, damit ich das verdient habe. Anscheinend kann ich keinen der vorgedruckten Sätze auf diesem Blatt vervollständigen. Wenn ich wüsste, wo dieser Typ wohnt, der den Lückentext erfunden hat, ich würde zu ihm hinfahren, mein Auto in seinem Rosengarten parkieren, wie es sich gehört die Klingel drücken und ihm dann sofort die Fresse polieren, sobald er die Tür aufmacht. Das Schlimme daran ist, dass es den Lehrern noch Spass macht, uns Schüler mit dieser Foltermethode zu quälen. Ich sehe schon Madame Debarre vor mir, wie sie mit meiner korrigierten Prüfung in der Hand auf mich zukommt, mit zusammengepressten Lippen und scheinheiligem Blick den Kopf schüttelt und sagt: Je pense que tu n`as rien appris. Es muss wohl so kommen. Das Einzige nämlich, was ich auf meinem Blatt nicht entziffern kann, sind die Lücken.
08.56 Uhr


13.10 Uhr
Wie ich das hasse, dieser sterile Geruch in der Luft. Alle sind weiss angezogen, als hätten sie das Gefühl, dies wäre der Himmel und sie selbst trugen Heiligenscheine und kleine süsse Flügel am Rücken. Im Gegenteil. Das ist die Hölle. Zumindest sehen das alle so, die ich kenne, eingeschlossen mir. Ich kenne keinen der sagt: Doch, ich gehe gerne zum Zahnarzt, weil ich das Gefühl liebe, wie er mit seiner Greifzange meinen Weisheitszahn umklammert und ihn mir unter Schmerzen und Schweissausbrüchen, trotz örtlicher Betäubung, aus dem Mund reisst. Der Zahnarzt ist der letzte Ausweg, wenn es mit EXIT und Dignitas nicht geklappt hat, geht man halt in das flammende Inferno, zum Zahnarzt. Eigentlich bin ich ja selber Schuld, dass ich hier bin. Wer schon so doof ist und die Schultreppe hinauf stolpert, sollte wenigstens genug Köpfchen haben, um die Hände und nicht den rechten Schneidezahn als Puffer zu benützen. Jeder kriegt halt das... Grossvater, was sollte dieser Spruch. So schlimm kann ich doch gar nicht sein. Wie soll ich so nur eine Freundin finden. Welche Frau würde schon zu mir sagen: Oh mein Herzilein, ich liebe deine schönen Zähne so sehr, trotz der Lücken.
13.15 Uhr


17.00 Uhr
Fahr schon du Idiot!! Es gibt einfach Menschen, welche ehrlicher zu sich selber sein sollten. Nämlich so ehrlich, dass sie aufs Strassenverkehrsamt gehen, lieb hallo sagen und ihren Führerausweis dann stillschweigend der Dame hinterm Schalter überreichen. Lieber jedoch gehen sie gestressten Leuten wie mir, nach Feierabend auf die Nerven und blockieren die Parkhäuser der Shoppingcenter, die in gerade mal 10 Minuten schliessen. Ich brauche dringend Salat Opa, fahr doch!! Apropos, Grossvater, ich scheiss auf deine Weisheiten. Ach was soll`s?!? Ich hätte nie Gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber auf dieser Suche nach einem Parkplatz, sehne ich mich nach einer...
17.05 Uhr

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Dienstag, 6. November 2007
Der Spieler
Wir treten ein, ein dunkler Raum
So dunkel, man sieht die eigne Hand ja kaum
Da in der Mitte ist ein schwaches Licht
Ein Computer, ein Junge, er sieht mich nicht
Kopfhörer auf dem Kopf, fixiert aufs Bild
Die Augen starr, die Hand ganz wild.
Da kommt ein Feind und eins zwei drei
Ein Kopfschuss und schon ist`s vorbei
Da liegt er nun im eignen Blut
Der Junge schmunzelt, s tut anscheinend gut
Und wieder wer, s`sind sogar zwei
Auch das gibt eine Schweinerei
Da kommt die Mutter schnell ins Zimmer
„Was für Gruselspiele spielst du immer?!“
„Ach halt das Maul und scher dich raus!“
Und weiter geht’s mit diesem Graus
Ein weiterer Mann kommt da ins Spiel
Das MG rasselt laut und viel
Übrig bleibt nicht viel vom Mann
Eingeweide und Blut, nichts was man retten kann
Die Tür schon wieder die Mutter schreit
„Ich sags das letzte Mal, s wird Zeit.“
Die Tür geht zu, der Junge fährt fort
Wechselt zum Bohrer, bohrt und bohrt
Das Gegenüber schreit vor Höllenqualen
Der Junge sagt „Dafür wirst du zahlen“.
„Keiner legt sich nur so mit mir an
sonst kann der was erleben dann!“
Und plötzlich wird die Realität ganz fremd
Mordlust ist alles was er jetzt noch kennt.
Zielstrebig läuft er schnell zum Schrank
Der Blick ganz leer die Nerven blank
Er greift zur Waffe, lädt sie gleich
Dreht sich um da steht sie, bleich.
Sie will in tadeln, da fällt schon ein Schuss
Drei weitere folgen, dann ist schluss
Da liegt sie nun mit offnen Wunden
So gut hat er’s noch nie empfunden
S`ist Ruhe jetzt keine Mutter die lärmt
Anders hat er’s nie gelernt.

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